InnoVIEW: Vernetzt, praxisnah, zukunftsorientiert – Das Thüringer Zentrum für Maschinenbau im Profil

Im Gespräch mit Dr. Andreas Patschger, Leiter der Koordinierungsstelle des ThZM

Herr Dr. Patschger, wenn Sie jemandem in einem Satz erklären müssten, was das Thüringer Zentrum für Maschinenbau eigentlich macht – wie würde der lauten?

Dr. Patschger: Das Zentrum für Maschinenbau ist ein wirtschaftspolitisches Instrument – für den Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft sowie für die Vernetzung der Akteure, insbesondere Unternehmen untereinander.

Sie sind ein wichtiges Element im Regionalen Innovationsökosystem. Sie werden über FTI-Thüringen Invest gefördert und leisten einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Kernkompetenzen des Spezialisierungsfeldes „Industrielle Produktion und Systeme“ der RIS Thüringen, um auch wirtschaftliche Alleinstellungsmerkmale in Thüringen voranzutreiben. Wie ist das Zentrum entstanden und wie hat sich die strategische Ausrichtung weiterentwickelt?

Dr. Patschger: Das ThZM wurde gegründet, um die Aktivitäten im Maschinenbau zu bündeln. Heute verstehen wir uns als Zentrum für das gesamte verarbeitende Gewerbe. Der Fokus hat sich stetig erweitert: Von Präzisionstechnologien, Werkstofftechnik oder Powertools über Metaebenen wie Digitalisierung, KI und Automatisierung – etwa wandlungsfähige Produktionsmethoden, adaptive Prozessregelung oder interaktive Assistenzsysteme. Zuletzt rückte das Thema Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt: Dazu zählen Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft sowie Bioökonomie – mit ressourcenschonenden, kreislauffähigen Produktionstechnologien, der Be- und Verarbeitung lokal nachwachsender Rohstoffe und einer digital ausgerichteten Produktionswirtschaft.

Welche Herausforderungen beschäftigen aktuell die Unternehmen des produzierenden Gewerbes in Thüringen am meisten?

Dr. Patschger: Handelshemmnisse, Fachkräftemangel sowie wachsende Bürokratie. Besonders der Personalengpass wird in Zukunft gravierend – uns drohen bis 2035 rund 380.000 offene Stellen in Thüringen, wenn keine Zuwanderung erfolgt. Eine von uns durchgeführte Studie, die auf dem letzten Thüringen Maschinenbautag vorgestellt wurde, zeigt deutlich, dass nicht nur Fachkräfte, sondern auch Arbeitskräfte für einfache Hilfstätigkeiten fehlen. 

Welche neuen Technologien oder Trends beobachten Sie derzeit mit besonderem Interesse für das produzierende Gewerbe?

Dr. Patschger: Digitalisierung und Automatisierung sind zentrale Hebel, um dem Fachkräftemangel und dem internationalen Wettbewerbsdruck zu begegnen und die Effizienz zu steigern. Thüringen taugt nicht mehr als verlängerte Werkbank. Ein Frästeil kann heute auf einer Online-Plattform bestellt und innerhalb weniger Wochen kostengünstiger aus Asien geliefert werden. Der traditionelle Wettbewerbsvorteil Thüringens, die niedrigen Lohnkosten, besteht nicht mehr. Auch bei Qualität und Termintreue haben andere Länder gleichgezogen. Gleichzeitig erkennen wir, dass Automatisierung und Digitalisierung keine Allheilmittel sind, sondern gut in bestehende Prozesse integriert werden müssen. Auch Retrofit ist ein stark wachsendes Thema: Wie kann ich bestehende Maschinen und Anlagen sinnvoll und ressourcenschonend digital nachrüsten?

Wie gut ist Thüringen im Bereich Digitalisierung und Automatisierung aufgestellt?

Dr. Patschger: Bildlich gesprochen ist Excel noch immer das Rückgrat vieler kleiner und mittlerer Unternehmen in Thüringen. Natürlich gibt es Vorreiter – aber die meisten stehen ganz am Anfang. Sich „mal eben“ zu digitalisieren, ist nicht einfach. Das beginnt bereits bei der nötigen IT-Infrastruktur: Zunächst braucht es Sensoren an den Maschinen, um überhaupt Daten erfassen zu können. Diese Daten müssen dann übertragen und ausgewertet werden. Dazu kommen individualisierte Softwarelösungen, die in der Lage sind, Schnittstellen zwischen Maschinen, Planungs- und Produktionssystemen abzubilden. Das ist nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern auch kostenintensiv – gerade für kleinere Unternehmen eine große Hürde.

Thüringen ist stark im verarbeitenden Gewerbe. Jedoch zeigen Vergleich der Statistiken zur Umsatzproduktivität der Bundesländer, dass Thüringen auf den hinteren Plätzen liegt. Welche Chancen und Bedarfe sehen Sie in Bezug auf Digitalisierung und Automatisierung in produzierenden Betrieben in Thüringen – und welche konkreten Unterstützungsbedarfe ergeben sich für Sie daraus?

Eine reine Digitalisierung und Automatisierung führen oft zu mehr Komplexität. Gerade im Fachkräftemangel brauchen wir adaptive, nutzerfreundliche Systeme, die intuitiv bedienbar sind – von der Produktion, Montage etc. über die Qualitätssicherung und Instandhaltung bis hin zum Management. Unser Ansatz ist deshalb die menschenzentrierte Automatisierung und Digitalisierung: Entscheidend sind einfache, anlernbare Systeme mit grafischen Oberflächen und klar strukturierten Steuerungen, damit Technologie nicht zur Hürde, sondern zum echten Werkzeug wird. 

Das ThZM ist eine Vereinigung aus fünf forschenden Einrichtungen (drei Hochschulen und zwei wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen). Welche Bedeutung messen Sie der Vereinigung zu, die auch sehr gut die Innovationskette von Grundlagenforschung bis hin zur angewandten Forschung und industriellen Entwicklung abdeckt?

Dr. Patschger: In dieser Struktur sind wir in Thüringen einzigartig. In unserer Forschungsarchitektur decken wir den gesamten Technologiereifegrade ab: von der anwendungsorientierten Grundlagenforschung der TU Ilmenau, über die anwendungsnahe Forschung an den Hochschulen für Angewandten Wissenschaften (HAW) in Jena und Schmalkalden bis hin zu schlüsselfertigen Technologien an den wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen ifw und GFE. Über öffentlich geförderte Verbundprojekte bringen wir Wissenschaft und Unternehmen zusammen – und fördern gezielt auch die Vernetzung mit Bedarfsträgern und Problemlösern.

Gibt es ein Projekt, bei dem Sie sagen: „Das war ein echter Meilenstein für uns“?

Dr. Patschger: Ja, das Projekt EMProBio ist besonders herausragend, weil wir hier ökologische und ökonomische Ziele vereinen. Es handelt sich um eine Forschungsgruppe, an der mehrere Forschungseinrichtungen beteiligt sind. Im Zentrum steht die Entwicklung ressourcenschonender Produktionstechnologien für biogene Kunststoffe – darunter energie- und materialeffiziente Urformprozesse, recyclingfähige Fügeverfahren, bildgebende Prüfverfahren und CO₂-Analyse-Tools. Insgesamt haben wir in den drei Förderperioden über 300 öffentlich geförderte Projekte umgesetzt. Nicht jedes wird zum Produkt, aber jedes Projekt bringt die beteiligten Unternehmen weiter. Transfer ist keine Einbahnstraße. Einige Ergebnisse werden direkt genutzt, andere liefern Erkenntnisse – auch zur Machbarkeit. 

Innovativ Thüringen ist ein enger Partner des ThZM – wie ergänzt sich diese Zusammenarbeit?

Dr. Patschger: Die Zusammenarbeit ist sehr eng und vertrauensvoll. Wir planen gemeinsam Veranstaltungen, stimmen uns in der Unternehmensansprache ab und ziehen am selben Strang: Es geht um Untersetzungsangebote für Thüringer Unternehmen. Während Innovativ Thüringen das breite Feld abdeckt, konzentrieren wir uns im RIS-Feld „Industrielle Produktion und Systeme“ auf Wissenstransfer und die Vernetzung der Unternehmen untereinander.

Warum ist Vernetzung – gerade im Maschinenbau – heute so entscheidend?

Dr. Patschger: Es ist nicht nur im Maschinenbau, sondern allgemein im produzierenden Gewerbe so: Komplexe Aufgaben lassen sich nicht allein lösen – ob Großauftrag oder FuE-Projekt. Es ist wichtig, Synergien zu nutzen, um Aufgaben bewältigen zu können.  

Sie engagieren sich bei sehr unterschiedlichen Veranstaltungsformaten – von den branchenübergreifenden Cross-Cluster-Wochen über Ihr Flaggschiff den Thüringen Maschinenbautag sowie das Industrieforum „Smarte Fertigung“, die Sie auch sehr gern mit Innovativ Thüringen gemeinsam veranstalten, bis hin zum eher niedrigschwelligen ThZM-Netzwerkforum. Was sind die Ziele hinter diesen Formaten, und welche Bedeutung haben sie für die Thüringer Maschinenbaubranche?

Dr. Patschger: Im Zentrum unserer Veranstaltungen stehen vier Dinge: Vernetzung, Austausch, Impulse und Wissenstransfer. Sie bringen Menschen zusammen, ermöglichen praxisnahe Einblicke, schaffen Raum für Ideen – und zeigen, wie andere Unternehmen mit Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Digitalisierung umgehen. Uns bieten sie wiederum die Möglichkeit, Bedarfsträger zu finden und sie mit Lösungsanbietern zu verbinden. Die Cross-Cluster-Initiative ist ein starkes Netzwerk aus Branchenverbänden, Innovationszentren und koordinierenden Partnern wie der LEG. Der Verbund arbeitet eng zusammen, zum Beispiel im Rahmen der Cross-Cluster-Wochen, die ab dem 08. September 2025 stattfinden. Auch mit dem jährlichen Industrieforum Smarte Fertigung (21.08.2025) sowie dem Maschinenbau-Tag (22.09.2025) verfolgen wir das Ziel, den gegenseitigen Austausch und die Entwicklung spezifischer Lösungen für Unternehmen zu fördern – wie in diesem Jahr zu KI, Datenräumen oder smarten Produktionssystemen bzw. Retrofit. Ergänzt wird das durch unser ThZM-Netzwerkforum, das einen vertrauensvollen Austausch unter Geschäftsführern in kleinen Fokusgruppen ermöglicht.

Wenn Sie an die nächsten 5 bis 10 Jahre denken – was wird den Maschinenbau in Thüringen am stärksten verändern?

Dr. Patschger: Dem zunehmenden Fachkräftemangel müssen wir begegnen – aus unserer Sicht am besten mit einer menschenzentrierten Digitalisierung und Automatisierung. Der internationale Wettbewerb wird sich verschärfen. Das bedeutet: Die einfachen Lohnfertiger werden noch stärker unter Druck geraten. Es wird vermehrt zu Geschäftsaufgaben kommen, wenn sich diese Unternehmen nicht weiterentwickeln und zukunftsfähig aufstellen. Sprich: Vernetzung untereinander mit gemeinsamen Produkten und Dienstleistungen, die auf den Markt kommen, und sich ihre Nische suchen. 

Was würden Sie sich denn von der Politik noch wünschen an Unterstützung – um solche einschneidenden Veränderungen, wie sie ja eigentlich in Ihren Worten mitschwingen, etwas abzumildern?

Dr. Patschger: Wir brauchen Unterstützung auf mehreren Ebenen. Zum einen müssen wir attraktiv für ausländische Fachkräfte sein - da haben wir aktuell keinen guten Stand. Zum anderen geht es um die digitale Transformation und Automatisierung. Hier braucht es gezielte finanzielle Förderung, direkt für die Unternehmen. Oft scheitern Vorhaben am fehlenden Kapital. Fast alle Unternehmen in Thüringen wurden erst nach der Wende gegründet und konnten sich dementsprechend keine mit den Betrieben der alten Bundesländer vergleichbare Kapitaldecke aufbauen. Und genau dieses fehlende Investitionskapital hemmt die Transformation. 

Welche Rolle soll das ThZM künftig in Thüringen spielen – und was wünschen Sie sich dafür?

Dr. Patschger: Wir wollen weiterhin ein verlässlicher Partner für die Unternehmen im produzierenden Gewerbe bleiben. Wir haben uns in den letzten zwölf Jahren einen guten Namen gemacht und ich hoffe, dass die Politik uns weiter die Möglichkeit gibt, den Wissenstransfer und die Vernetzung zu fördern.

Herr Dr. Patschger, vielen Dank für das interessante Gespräch!

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