Wer als Unternehmer sinnvolle Entscheidungen treffen möchte, braucht vor allem eins: ausreichend Informationen über seine betrieblichen Prozesse. Früher musste Enrico Jakusch deshalb wichtige Produktions- und Auftragsdaten an Maschinen ablesen oder bei seinen Mitarbeitern erfragen. Das war für alle nicht zufriedenstellend. Heute reicht ein Blick auf die digitale Arbeitsplattform NOAH und jeder in der Firma weiß Bescheid, was wo gefräst, gedreht oder geschliffen wird – und vor allem für wen. Der Saalfelder gehört zu den Vorreitern der Digitalisierung in Thüringen. Aber hat die Arbeitswelt 4.0 Thüringens Wirtschaft schon auf breiter Ebene erreicht? Wie können kleine und mittlere Betriebe digitalisieren? Und was ändert sich durch die Künstliche Intelligenz (KI) alles?
Herr Jakusch, vor 25 Jahren wurde die Jakusch Drehtechnik als Ein-Mann-Betrieb gegründet. Inzwischen beschäftigen Sie fast 40 Mitarbeiter. Wo steht Ihre Firma in zehn Jahren?
Jakusch: Wir wollen weiterwachsen und den Umsatz steigern. Basis dafür ist ein leichtes Plus bei den Mitarbeiterzahlen und eine zufriedene Stammbelegschaft. Uns ist solides wirtschaftliches Wachstum wichtig. Denn wie in der Natur gilt auch für uns: Wer zu schnell wächst, geht schnell wieder kaputt.
Bei der Unternehmensnachfolge knirscht es häufig gewaltig. Wie funktionierte im Hause Jakusch die Stafettenübergabe, als Sie 2007 die Firma von Ihrem Vater übernahmen?
Jakusch: Seit es die Drehtechnik Jakusch gibt, habe ich mit meinem Vater Seite an Seite im Unternehmen gearbeitet. Das hat immer super funktioniert und auch die Übergabe vor einigen Jahren lief tadellos. Auch meine Söhne sehen im Unternehmen eine berufliche Zukunft.
Meffert: Als Unternehmensberater ist es für mich großartig zu sehen, wie umsichtig die Nachfolge in der Familie Jakusch geregelt wird. So beschäftigt sich Enrico Jakusch schon heute mit dem Übergang – durch die Einbindung seiner beiden Söhne Robert und Rudi. Robert, der ältere Junior, studiert Maschinenbau an der TU Ilmenau. Rudi macht gerade Abitur und beginnt im Oktober ein Studium in Jena. Beide begleiten die digitale Transformation von Anfang an. Klar ist: Der Kern des Geschäftsmodells bleibt das Drehen und Fräsen. Neu hinzu kommt der Aspekt der kompletten Digitalisierung der Arbeit. Und diese Erweiterung wird durch die nächste Generation „Jakusch“ verantwortlich fortgeführt.
Unter Tüftlern und Erfindern gilt der Techniker-Spruch: „Dem Ingenieur ist nichts zu schwör“. Was sind aktuell Ihre größten Herausforderungen?
Jakusch: Passende Mitarbeiter finden und strategische Personalentwicklung. Was heißt das? Bei uns arbeiten nicht nur ausgebildete Zerspanungstechniker, sondern auch viele Quereinsteiger – vom Maurer bis zur Verkäuferin. Diese Mischung ist Herausforderung und Potenzial zugleich – beispielsweise für neue Innovationen wie NOAH. Wir versuchen vor allem, die Stärken aller Mitarbeiter einzubeziehen, zu bündeln und auszubauen – also nicht nur in Technik zu investieren, sondern genauso in die Arbeitskultur. Jeder macht dabei mit. Und für dieses Engagement bin ich meinen Mitarbeitern sehr dankbar.
Seit 2017 ist Ihre digitale Arbeitsplattform NOAH aktiv? Was hat sich seitdem im Unternehmen verändert?
Jakusch: Uns fehlten bis dato gebündelte Informationen – angefangen von den Arbeitsabläufen über das Wissen aus den Fachabteilungen bis hin zum Maschinenverhalten: Was macht gerade die CNC-Drehmaschine XYZ? Warum und wie lange steht sie still? Wann gehen die Bauteile an den Kunden raus? Mir blieb nichts anderes übrig, als durch die Produktionshalle – so groß wie ein halbes Fußballfeld – zu laufen und an jeder einzelnen Maschine nachzusehen. Das kostete Zeit und Nerven!
Und bei Ihren Rundgängen haben Sie sich gedacht, das geht bestimmt auch besser?
Jakusch: Richtig, zumal die Kundenwünsche in der Lohnfertigung immer ausgefallener werden. Also kleine Stückzahlen, schnell und zuverlässig produziert. Für uns heißt das noch mehr Informationen verarbeiten, die obendrein an den richtigen Arbeitsplatz müssen. Das war unser Start in die Digitalisierung und die Geburtsstunde von NOAH, die wir mit der Batix Software GmbH entwickeln.
Meffert: Die interne Arbeitsplattform sorgt dafür, dass alle Mitarbeiter, die für ihre Arbeit notwendigen Daten sofort parat haben und diese leicht sowie ortsungebunden via Tablet abrufen können. Das ist nicht nur ein großer Sprung nach vorn, was betriebliche Prozesse und Entscheidungen angeht. Sondern auch ein mutiger Schritt, um einem herkömmlichen Geschäftsmodell neue Dynamik zu geben.
NOAH als smarter Industrie 4.0-Lösungsansatz war für viele Mitarbeiter komplettes Neuland? Wie hat sich diese Dynamik auf die Zusammenarbeit im Unternehmen ausgewirkt?
Jakusch: Die Arbeitsweise insgesamt hat sich verändert – wir sind vorausschauender, innovativer und kollaborativer. Mit weniger Papier. Mit weniger Archivierungsarbeit. Eine Kultur des Testens, Lernens und Machens hat sich etabliert, um das System NOAH weiter zu verbessern. Mit anderen Worten: Die Kollegen sind sensibilisiert für die Potenziale der Digitalisierung – und haben Zukunft im Kopf.
Meffert: Ein wichtiger Aspekt war die Akzeptanz bei den Mitarbeitern. So wurde die Entscheidung getroffen, dass jeder Mitarbeiter sein eigenes Tablet erhält, um mögliche Schwellenängste gegenüber der neuen Technik abzubauen.
Wenn ein Thüringer Unternehmen nun digital werden möchte – wie geht es am besten vor?
Jakusch: Das A und O ist eine ordentliche Beratung! Am besten von Profis, die schon erfolgreich Digitalisierungsprojekte umgesetzt haben und sich auch bei Förderprogrammen auskennen. Es braucht außerdem eine gute Roadmap – erfolgreiche Transformationen erfordern tiefe Eingriffe in Strukturen, Prozesse, Führungsinstrumente und IT. Von Vorteil ist auch eine kooperative Unternehmenskultur. Nicht zu vergessen: Für die Implementierung der Zugriffsinfrastrukturen, Software und Applikationen müssen Technik und Maschinen „state-of-the-art“ sein.
In Thomas Manns Roman über die Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook steht: „Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können.“ Haben Sie wegen möglicher Hackerangriffe manchmal Albträume?
Jakusch: Für unsere IT-Sicherheit haben wir ein internes digitales Maschinennetzwerk errichtet – uns sozusagen einen kontrollierten Raum für den Datenaustausch geschaffen. Er ist nach außen hin hervorragend abgesichert – und lässt mich nachts auch sehr gut schlafen.
Wenn Unternehmen an Digitalisierung denken, baut sich schnell das große Kostengespenst auf und das Zeit für derartigen Firlefanz, wie viele Chefs sagen, fehlt? Was meinen Sie dazu?
Jakusch: In der Tat, Digitalisierung kostet Zeit und Geld. Am Anfang! Am Ende habe ich einen besseren Überblick über mein Unternehmen. Wir profitieren von einer effizienteren Arbeitsorganisation und können „instant“ auf Kundenaufträge reagieren. Was das Kostengespenst angeht: Förderinstrumente vom Bund und vom Land, wie beispielsweise „go-Inno“ oder der „Digitalbonus Thüringen“, haben uns bei der Finanzierung „Eins a“ unterstützt. Mit Workshops, Best-Practice-Beispielen und Networking zu Themen wie Digitalisierung und KI helfen uns auch das Thüringer ClusterManagement sowie die Kompetenzzentren Wirtschaft 4.0 und Mittelstand 4.0 in Erfurt oder Ilmenau weiter.
Mit Industrie 4.0 verbinden viele Beschäftigte Arbeitsplatzverluste und menschenleere Fabriken. Wie gehen Sie mit solchen Vorbehalten im Unternehmen um?
Jakusch: Punkt 1: Sie müssen die Mitarbeiter auf dem Weg der Digitalisierung von A bis Z mitnehmen. Punkt 2: Sie sollten mit den Mitarbeitern Zukunftsszenarien diskutieren. Ansatzpunkte liefern vor allem monotone Arbeiten. Die macht keiner gerne; sie wecken eher die Lust auf Neues und Abwechslung. Und Punkt 3: Es geht nicht um Vollautomatisierung. Es geht um kleine Schritte, die den Mitarbeitern bei unliebsamen Jobs im Alltag helfen. Arbeit fällt durch Digitalisierung nicht weg; sie ändert sich lediglich – natürlich zum Positiven.
Interview: Holger Dabow (www.textdepartment.com)
Drehtechnik Jakusch GmbH, Saalfeld
Branche: Maschinenbau/Fertigungstechnik
Mitarbeiter: 39 (2018)
Produkte: Herstellung von Drehteilen und Baugruppen
Kunden: u.a. aus den Bereichen Medizintechnik, Maschinenbau, Schienenfahrzeugbau, Elektrotechnik
Standorte: Saalfeld (Saale)
Gründung: 1994
Webseite: www.drehtechnik-jakusch.de
Vorschau
Im nächsten InnovationsInterview stellen wir Ihnen Frau Karin Finger vor. Sie ist Geschäftsführerin der Goethe Schokoladentaler Manufaktur GmbH aus Oldisleben. Als neue Vorstandsvorsitzende des Thüringer Ernährungsnetzwerkes (TH-ERN) leitet Sie auch die Aktivitäten des Branchennetzwerkes.