Am 18. September hatten wir die Gelegenheit, unser Industrieforum „Smarte Fertigung“ – Retrofit von Maschinen und Anlagen zur Absicherung der Produktion in der Funkwerk AG zu veranstalten. Kerstin Schreiber, Vorständin der Funkwerk AG und Geschäftsführerin der Funkwerk Systems GmbH, hielt dabei eine beeindruckende Keynote. Angesichts ihrer langjährigen Erfahrung bei Funkwerk wollten wir mehr über innovative Technologien und Herausforderungen im Bereich der Langzeitverfügbarkeit erfahren – Grund genug, ihr ein Interview zu widmen:
Vielen Dank, dass Sie sich für dieses Gespräch Zeit genommen haben. Was ist Ihre Rolle bei Funkwerk und wie lange sind Sie schon ein Teil des Unternehmens?
Ich bin bereits seit über 25 Jahren bei Funkwerk tätig. Neben meiner Funktion als Vorständin der gesamten Funkwerk AG bin ich auch Geschäftsführerin der Funkwerk Systems GmbH, der größten von vier Sparten der Funkwerk AG, die auf Zugfunk spezialisiert und in Thüringen angesiedelt ist. Weitere Geschäftsbereiche der Funkwerk AG sind die Fahrgastinformationen, Sicherheitslösungen sowie technische Dienstleistungen.
Könnten Sie uns mehr über die Alleinstellungsmerkmale der Funkwerk AG erzählen?
Im Bereich des Zugfunks wurden wir als Hidden Champions ausgezeichnet. Diese Auszeichnung resultiert aus verschiedenen Kriterien – eine alleinstellende technologische Kompetenz sowie einen hohen Marktanteil. Beides können wir für uns in Anspruch nehmen. Wir sind einer der wenigen Zugfunksystem-Lieferanten, die weltweit für die internationale Eisenbahn tätig sind. Lokomotiven und Triebfahrzeuge in über 40 Ländern sind mit unseren Kommunikationssystemen ausgestattet, nicht nur in Europa, sondern auch weit darüber hinaus – unter anderem in Nordafrika, Südafrika und Australien. Oft müssen wir dabei spezifische Anpassungen über den europäischen Standard hinaus vornehmen, da viele Länder nationale Anforderungen haben. Das ist unser Unique Selling Point.
Welche Entwicklungen haben das Unternehmen zu seiner heutigen Position geführt?
Ein Schlüsselfaktor ist unser Fokus auf Nischenmärkte im B2B-Bereich, insbesondere im Eisenbahnsektor. Wir haben uns in dieser Nische über Jahre hinweg eine tiefe technische Expertise und eine starke Kundenbindung erarbeitet. Diese Ausdauer und Nähe zu unseren Kunden haben uns entscheidend geprägt. Unsere Partnerschaften bestehen oft seit mehreren Jahrzehnten, einige sogar über 30 Jahre, und wir entwickeln Produkte nah am Kunden, die zum Teil standardisiert sind, aber auch teilweise exakt auf die besonderen Bedürfnisse und hohen Verfügbarkeitsanforderungen der Bahn abgestimmt sind. In der Folge verfügen wir weltweit über eine hohe Anzahl höchst professioneller Referenzen. Darüber hinaus betreiben wir ein effektives Obsoleszenz Management, um Produkte langfristig verfügbar zu halten. Investitionszeiträume im Eisenbahnsektor betragen nicht selten mindestens 20 Jahre. Ein Cockpit beispielsweise ist sehr komplex und wird nicht jedes Mal neu entwickelt. Unsere Produkte müssen daher oft mit Sonderfeatures ausgestattet werden, die die Verdrahtungstechniken und Einbauverhältnisse des Cockpits berücksichtigen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist daher unser starkes Entwicklungsteam, welches mehr als ein Drittel unserer Mitarbeiter in Kölleda umfasst. Nur so können wir die Kapazität und das Know-how bereitstellen, um ältere Systeme zu aktualisieren oder zu warten.
Angesichts der Krise in zahlreichen Branchen – wie geht Ihr Unternehmen damit um?
Der Zugverkehr muss gewährleistet werden, unabhängig von Krisen. Den Schienenverkehr unserer Kunden zu ermöglichen und Investitionssicherheit sowie Systemverfügbarkeit zu gewährleisten, ist für uns von höchster Bedeutung. Es ist stets unser Ziel, weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben und trotz Herausforderungen – etwa durch Materialknappheit oder inflationärer Preisveränderungen – agil und anpassungsfähig zu handeln.
Wie groß ist der Mehrwert für Ihre Kunden, wenn es um "Made in Germany" geht?
Was uns ausmacht, ist unsere Fähigkeit, komplex zu denken, in langen Zyklen zu planen und geeignete Lösungen für den Markt zu entwickeln. Für unsere Kunden entsteht ein klarer Mehrwert durch „Made in Germany“ – insbesondere durch unsere ausgeprägte Entwicklungsfähigkeit und hohen Qualitätsanspruch. Unsere Ingenieure stehen in einem engen Austausch mit unseren Kunden. Sie definieren gemeinsam mit ihnen einzelne Anforderungen, dann geht es in die Entwicklung. Unser Mehrwert für die Kunden liegt darin, dass wir uns konsequent auf die Entwicklung zielgerichteter und marktgerechter Produkte konzentrieren. Diese Zielstrebigkeit ist für uns ein zentraler Erfolgsfaktor. Und genauso wichtig ist es, unser Team dauerhaft dafür zu begeistern, langfristig an einer gemeinsamen Strategie zu arbeiten. Diese Begeisterung aufrechtzuerhalten, ist uns in den vergangenen Jahren gelungen – uns zeichnet eine hohe Mitarbeiterbindung und wenig Fluktuation aus. Diese Kontinuität des Know-hows, die dadurch entsteht, ist für uns ein wichtiger Vorteil, um über viele Jahre hinweg stabile und zuverlässige Lösungen für unsere Kunden anzubieten. Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass Mitarbeitende den Wunsch nach Veränderung haben und das Unternehmen verlassen. Diese Dynamik ist ein natürlicher Bestandteil jedes Unternehmens. Neue Köpfe bringen auch neue Ideen mit, die ebenfalls bereichernd für uns sind. Dennoch bleibt die Basis stabil, was uns ermöglicht, mit Veränderungen konstruktiv umzugehen und die Weiterentwicklung voranzutreiben.
Wie sichern Sie die langfristige Verfügbarkeit Ihrer Produkte?
Langzeitverfügbarkeit von Produkten ist für uns ein zentrales Thema, insbesondere im Bereich der Eisenbahnkommunikation. Unser Unternehmen verfolgt eine vorausschauende Strategie, um die langfristige Verfügbarkeit von Produkten zu sichern, besonders im Hinblick auf elektrotechnische Komponenten und Halbleiter, deren Lebenszyklen oft begrenzt sind. Hierzu erfassen und verwalten wir sämtliche Produkte und Rohmaterialien digital in unserem ERP-System, was eine minutengenaue Inventur ermöglicht. Wenn wir eine Abkündigung bzw. eine „End of Life“- Mitteilung bekommen, analysieren wir genau, wo das Bauteil eingeht, welche Produkte betroffen sind und welche Menge des betroffenen Bauteils über die nächsten Jahre benötigt werden. Die Verantwortlichen prüfen dann anhand unserer Entwicklungs-Roadmap, ob wir alternative Schritte einleiten müssen, entweder durch die Integration eines neuen Bauteils oder durch die Einlagerung von Ersatzteilen für die Zukunft. Mit einer umfassenden Änderungs-Auswirkungsanalyse stellen wir dabei fest, ob alternative Komponenten in das System integriert werden können, ohne die Funktionsweise der Software zu beeinträchtigen. Denn sonst sind Neuzulassungen nötig, was insbesondere dann teuer wird, wenn die Systeme grenzüberschreitend zum Einsatz kommen und nationale Zulassungen notwendig werden. Durch eine fundierte Make-or-Buy-Analyse entscheiden wir, ob wir das Bauteil für ein zukünftiges Release anpassen oder einlagern – eine Maßnahme, die jedoch auch eine hohe Kapitalbindung bedeutet.
Welche speziellen Anforderungen stellen Sie an die Maschinen bei Funkwerk?
Funkwerk setzt auf Maschinen für die Produktion und Bestückung von Leiterplatten, die gängigen industriellen Standards entsprechen. Hier greifen wir auf moderne Geräte namhafter Hersteller zurück. Doch eine Besonderheit des Unternehmens sind die selbst entwickelten Prüf- und Messsysteme, die zur finalen Qualitätsprüfung der Produkte eingesetzt werden und exakt auf die Anforderungen der Funkwerk-Produkte zugeschnitten sind.
Welche zukünftigen Entwicklungen in der Bahntechnik zeichnen sich ab und wie stellt Funkwerk sicher, dass es auf Trends und Standards in der Bahntechnik vorbereitet ist?
Im Fokus der Eisenbahn steht die Digitalisierung. Dabei steht nicht nur die Digitalisierung von Geschäftsprozessen im Fokus, sondern ein im möglichen Umfang automatisierter Bahnbetrieb, der sowohl Fahrer als auch Techniker direkt bei ihrer Arbeit unterstützt. Diese Transformation soll durch digitale Stellwerke, moderne Sensorik an Zügen und Gleisen sowie eine Weiterentwicklung der Kommunikationstechnologien unterstützt werden. Ein wichtiger Bestandteil dieses Wandels ist der Umstieg von der heutigen 2G-basierten Kommunikationstechnik (GSM-R) auf 5G-Technologie. Er ermöglicht durch schnellere und robustere Verbindungen eine effiziente Kommunikation und Datenaustausch in Echtzeit, was für den digitalen Bahnbetrieb essenziell ist. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung von Standards und länderspezifischen Zertifizierungen zu, was die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Produkte und ihrer Produktionsprozesse zusätzlich fordert. Um auf Veränderungen schnell reagieren zu können, verfolgt Funkwerk aktiv die Entwicklungen internationaler Trends und Standards in der Bahntechnik. Durch die kontinuierliche Teilnahme an relevanten europäischen Gremien stellen wir sicher, dass unser Unternehmen frühzeitig auf Veränderungen des Marktes reagieren kann.
Welche Rolle spielt Retrofit für Funkwerk und Ihre Kunden?
Retrofit ist für uns essenziell, da es sich um eine umfassende Erneuerung und Modernisierung von Systemen handelt, die oft über viele Jahre im Einsatz bleiben. Es geht darum, dass Kunden ihre Systeme weiterhin aktuell und funktionsfähig halten können – entweder durch technische Weiterentwicklungen oder ein komplett neues Design. Dies ermöglicht unseren Kunden eine langanhaltende Nutzung der Produkte.
Sie haben kürzlich das ThCM-Industrieforum „Smarte Fertigung“ als Gastgeberin unterstützt. Was war Ihre Motivation, daran teilzunehmen?
Als lokales Unternehmen mit einer Bedeutung für Thüringen war es uns wichtig, die Gelegenheit zu nutzen, unser Unternehmen zu präsentieren und auf unsere Kompetenzen aufmerksam zu machen. Außerdem trägt eine Veranstaltung wie diese dazu bei, das Netzwerk zu stärken, Kontakte zu knüpfen und auch von anderen zu lernen.
Welche Rolle spielen Kooperationen für Funkwerk?
Kooperationen mit anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind für uns von großer Bedeutung. Im Eisenbahnbereich ist die Zahl der Unternehmen in Thüringen zwar überschaubar, doch es gibt einige, mit denen wir uns regelmäßig austauschen – sei es in technischen Fragen oder bei der Nutzung von spezifischer IT. Besonders der Austausch mit Forschungseinrichtungen ist wichtig, da wir nicht selbst forschen, sondern Entwicklungen auf Basis von Forschungsergebnissen vorantreiben.
Sie sind auch im ThCM-Strategiebeirat für das RIS-Spezialisierungsfeld „Industrielle Produktion und Systeme“ tätig. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit dort?
Die Zusammenarbeit ist immer inspirierend. Unterschiedliche Unternehmen bringen unterschiedliche Perspektiven ein, was zu sehr fruchtbaren Diskussionen führt. Auch die Visionen, die von Forschungseinrichtungen angestoßen werden, treiben oft Innovationen voran. Unsere Rolle im Beirat sehe ich darin, Erfahrungen aus dem Praxisalltag beizutragen. Es geht dabei vor allem darum, Forschungsideen gezielt zu unterstützen, sodass sie alltagstauglich und erfolgreich umgesetzt werden können.
Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit mit der LEG ein?
Ich bin ein großer Fan der LEG. Unsere Zusammenarbeit reicht bis in die Zeit der Wende zurück und Herr Krey, den ich schon lange kenne, hat uns immer kompetent unterstützt. Die LEG bietet nicht nur ein starkes Netzwerk, sondern auch wertvolle Unterstützung bei Themen wie Flächenbedarf und Technologien. Ihre Reichweite und ihr Einfluss sind ein echter Gewinn für Unternehmen wie uns.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!